Es brennt, mein Mädchen!

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  Tschechisch

Es war der Anfang eines großen, siegreichen Oktobers, ein Monat nach Anfang des Schulunterrichts in der ersten Klasse. Der sechsjährige Michael fährt in einem Zug mit dem großen fünfzackigen Stern mit seinen Eltern und seinem um sechs Jahre älteren Bruder Thomas in Richtung Westen. Trotz des mit vielen Ängsten verbundenen Übertritts der Staatsgrenze in Rozvadov ahnt er nicht was auf ihn in der näheren Zukunft und während der weiteren Jahre wartet. In diesen Augenblicken war für ihn nur das eine wichtig: sein Mutter, sein Vater und der geliebte Bruder sind bei ihm. Es war ein wunderschöner Tag des 4. Oktober 1980, an dem sich seine Eltern zur Emigration entschieden haben. Ein monströser roter Stern aus unschuldigen roten Blumen wie die Tulpen aus einem Lied von Jiri Suchy und der Grenzsoldat mit hohen Stiefeln und einer Maschinenpistole auf dem Bauch haben die Überzeugung seiner Eltern nicht mehr zurück zu kommen weiter gefestigt.

Einige Jahre später, schon im freien Köln am Rhein, im Alter von 12 Jahren hat Michael mit seinen Eltern ein aufregendes Abenteuer erlebt, welches seine Entscheidung über die zukünftige Berufswahl entscheidend beeinflusst hat. Zwei Tage nach Weihnachten ist nämlich auf dem Dach des Hauses, in dem sie alle gewohnt und wo seine Eltern gearbeitet haben ein erbarmungsloser, durstiger roter Hahn gelandet. Alle Bewohner konnten sich zwar gerade noch im letzten Augenblick retten und der sich schnell ausbreitenden Feuerhölle entkommen. Aber so ein Erlebnis verarbeiten verschiedene Menschen unterschiedlich. Michaels Mutter wird beim Gedanken an die Glut und den Gestank des Feuers ihre panische Angst, verbunden mit Herzrasen, Nervenschwäche und Unwohlsein ihr Leben lang nicht vergessen. Und bei Michael war es genau umgekehrt: an dem Tag hat er entschieden Feuerwehrmann zu werden, um den Menschen zu helfen.

Seit diesem Tag hat er seine Entscheidung konsequent weiterverfolgt und alles getan, um seinen Traum zu verwirklichen. Ich weiß nicht warum, aber in Verbindung mit diesem schweren Dienst musste ich sehr oft an den Film von Milos Forman „Es brennt, mein Mädchen!“ denken und sehr oft habe ich diesen Beruf unter dem Einfluss des Films betrachtet. Erst dann, wie ich Dank Michael die Wirklichkeit sehen konnte, habe ich das alles ganz anders gesehen.

Einen Ausbildungsvertrag in diesem schwierigen, gefährlichen Beruf in Deutschland zu bekommen ist alles andere als einfach. Michael hat zuerst eine dreijährige Ausbildung als Bauschreiner absolviert und dabei die Bauweise und die Tragfähigkeit von Dachkonstruktionen und deren Verbindung mit den anderen Gebäudeteilen kennen gelernt. Um die Chancen für seinen Traumberuf bei den echten Kerlen zu erhöhen ist er den freiwilligen Feuerwehren beigetreten. Dort wurde genauso wie seine professionellen Kollegen bei allen möglichen Naturkatastrophen wie Feuer und Hochwasser eingesetzt, um die es in Köln Jahr für Jahr keinen Mangel gibt.

Nach Ende seiner Ausbildung hat sich Michael für die Aufnahmeprüfung der Berufsfeuerwehren auf den Schulen in Köln und Bonn angemeldet. Die Feuerwehrschule in Köln ist eine der besten in Deutschland, die Aufnahmeprüfung daher sehr streng. Aus einigen Hundert Bewerbungen wurden 80 ausgewählt und alle standen eines Tages an der Startlinie. Die Auswahlkriterien waren sehr streng, man hat nicht nur die psychische Kondition und eine hohe sportliche Fitness, sondern auch die Intelligenz der Bewerber beurteilt. Nach Beendigung der vielen physisch und psychisch anspruchsvollen Prüfungen sind in dem Auswahlnetz nur acht Kandidaten geblieben. Bei den mündlichen Prüfungen fielen weitere zwei Bewerber durch. Michael war aber gut vorbereitet, landete unter den sechs Glücklichen und wurde aufgenommen.

Er kam nach Hause - todmüde aber glücklich und zufrieden – denn er hat gleich im ersten Anlauf das geschafft, wofür andere mehrere Jahre brauchen oder was viele überhaupt nicht erreichen. Es war aber noch lange nicht zu Ende. Während des Studiums drohte ständig bei Nichterfüllung von sportlichen Zeitlimits oder disziplinarischen Problemen der Schulverweis. Das Studium dauerte 18 Monate und nach Abschluss waren die Absolventen nicht nur vollwertige Feuerwehrmänner, sondern auch noch Sanitäter. Denn im Dienst fährt man alternativ mit einem Feuerwehrauto oder mit dem Rettungswagen. Nach Schulabschluss kam noch eine zweijährige Wartezeit und erst im Alter von 27 Jahren wurde Michael zum Beamten auf Lebenszeit ernannt.

Michaels erste Einstellung nach Schulabschluss war die Feuerwehreinheit in Köln-Porz, in der Nähe des Flughafens Köln-Bonn. Hier wurde er sehr schnell sowohl bei den Kollegen wie auch bei seinen Vorgesetzten beliebt. Wenn er nach einiger Zeit versuchte sich bei einer Spezialeinheit für Höhenrettung zu bewerben, hat ihm sein Vorgesetzter eine Bedingung gestellt: „Ja, du darfst gehen – aber nur dann, wenn du mir einen Ersatzmann besorgst, der genauso gut wie du ist.“ Damit war aber die Entscheidung getroffen Michael blieb bei seiner Einheit, obwohl ihn die neue Aufgabe sehr interessierte. Diese Spezialeinheit zur Rettung von Lebensmüden aus der Höhe ist in Köln die einzige. Hier wird nicht nur eine perfekte physische Kondition erwartet, man muss auch ein guter Psychologe sein, um dem Selbstmörder sein geplantes Vorhaben auszureden. Und dann passiert manchmal, dass er die angebotene Hand annimmt um sich dann mit seinem angeschnallten Retter in die Tiefe zu werfen. Außer dieser Einheit gibt es in Köln noch eine andere Spezialeinheit von Feuerwehrtauchern, die bei der Bergung von Leichen aus tiefen Gewässern eingesetzt wird.

Die Stadt Köln am Rhein hat 1.150.000 Einwohner und 800 Feuerwehrmänner, davon sind in ruhigen Zeiten für jeweils 24 Stunden 172 richtige Männer in 11 Einheiten in Dienst. Sie müssen sich gut vertragen, persönliche Streitereien oder Antipathien sind ausgeschlossen – alle müssen wie ein Mann zusammenhalten. Der Dienst beinhaltet nicht nur Einsätze bei Feuer oder Überflutungen, die Arbeit ist sehr unterschiedlich. Die Feuerwehrschule ist eine der besten in der ganzen Welt und übertrifft beim weiten die Schulen in den USA. Jeder deutsche Feuerwehrmann konnte mit seiner Qualifikation in den USA Gruppenführer werden.

Ein Mitglied der deutschen Berufsfeuerwehr muss auch gute Kenntnisse der ersten Hilfe besitzen und ist beinahe ein Notarzt. Nach den 18 Monaten in der Feuerwehrschule musste Michael für weitere 18 Monate die medizinische Spezialausbildung absolvieren. Er hat für 7 Wochen als Anästhesist auf dem Operationssaal gearbeitet und hat bei Operationen und bei Geburten assistiert. Am Ende der Ausbildung waren wieder strenge Prüfungen, um die sehnlich erwartete Qualifikation des Rettungsassistenten zu erreichen. Jedes Jahr sind zur Erweiterung der Qualifikation weitere Schulungen vorgesehen, zum Beispiel Behandlung von Chemikalienunfällen oder Ausbildung zum Rettungsschwimmer. Er hat außer des Führerscheins für Rettungsfahrzeuge auch ein Bootsführerschein, darf das große Fahrzeug mit der Drehleiter und einen Bus führen.

Auf der Feuerwehrwache in Porz schallt dreimal hintereinander der Gongalarm und es folgt eine Meldung: „Gynäkologischer Alarm erster Stufe!“ Das bedeutet eine aufkommende Geburt ohne Beisein des Arztes. Der kommt nur bei der zweiten Alarmstufe. Der Rettungswagen rast durch die Straßen von Köln und das dreiköpfige Team erreicht bald die werdende Mutter. Die Wohnung ist im vierten Stock - ohne Aufzug. Michael beurteilt schnell die Situation in der Wohnung: die marokkanische Mutter liegt auf einer Matratze auf dem Boden, um sie ist die ganze erregte, ratlose zehnköpfige Familie versammelt. Weil bei der Frau bereits regelmäßige Wehen eingesetzt haben, schickt er seine zwei Kollegen nach unten um die Trage zu holen. Sie könnten auf dem halben Wege nach unten gewesen sein und er sieht bereits, dass die Geburt schon eingesetzt hat. Michael beugt sich über die Frau, um zu helfen und stellt mit Entsetzen fest, dass im Zimmer nur er und die werdende Mutter geblieben sind. Die ganze Familie ist verschwunden, nachdem sie den roten Kopf des Kindes erblickt haben. Es war ihm sicher nicht angenehm, denn es war seine erste Geburt und er war dabei ganz allein. Aber es half nichts, er musste kühlen Kopf behalten und die eingeleitete Geburt ganz allein meistern. Dazu kam, dass sich die Nabelschnur um den Hals des Kindes gewickelt hat, die vor der Abtrennung entknotet werden musste. Seine Kollegen haben auf dem Weg nach oben ein Kind schreien gehört, sind aber davon ausgegangen dass es aus einer anderen Wohnung kommt. Wie groß war dann ihre Überraschung, als sie gesehen haben, dass ihr Kollege in der Raummitte steht, den frisch geborenen Jungen im Arm und um ihn versammelt die ganze jubelnde Familie.

Das Ende eines warmen Winters in Köln ist gekommen. Das Tauwetter in den fernen Bergen hat viel Wasser gebracht. Der Rhein ist aus seinem tausendjährigen Flussbett ausgetreten und das wilde Wasser hat sich über die ganze Gegend ausgebreitet. Die hunderttausende von Menschen, die dort wie jedes Jahr Karneval feiern, hat es nicht gestört. Die einzigen, die nicht gefeiert haben waren die Dienst habenden Feuerwehrleute der Einheiten in Köln. Sie hatten 24 Stunden Bereitschaft – wegen Hochwasser und wegen dem wilden Karnevaltreiben.

Zwei junge Menschen – ein Mädchen und ein Mann, nicht älter als zwanzig Jahre – stehen auf dem Anlegeplatz direkt am Ufer und streiten. Wer weiß, was es war – Alkohol oder Eifersucht -. Plötzlich springt das Mädchen von der Plattform in den eisigen, wilden Rhein. Der starke Strom hat sie gepackt und treibt sie schnell weg. Nach einigen Schrecksekunden springt auch ihr Freund ins Wasser, um seine verzweifelte Geliebte zu retten. Eine Geschichte wie aus einem Liebesroman – aber deren Verlauf und Ende waren diesmal ganz anders.

In der Feuerwehrwache Porz schrillt die Alarmglocke und sofort kommt die Meldung über zwei junge Menschen, die sich in den Rheingewässern an einem Strauch mitten im Strom festhalten. Ein Team von 13 entschlossenen Feuerwehren ist innerhalb von 5 Minuten am Unfallort. Am Ufer steht der Freund des Mädchens, frierend, nass und kalt. Er hat seine Freundin nicht retten können, aber hat es doch geschafft den reißenden Fluten zu entkommen und das rettende Ufer zu erreichen. Das Mädchen und ein weiterer Retter – ein Polizist - hängen im Strom an einem Strauch. Der Polizist hat sein Leben riskiert und ist ohne zu Zögern in den Fluss gesprungen, um das Mädchen zu retten. Und wie immer stehen am Ufer viele Gaffer, den Ausgang des aufregenden Schauspiels betrachtend.

Die Gier vieler Menschen nach Sensationen ist grenzenlos, sie lässt sich mit Hunger nach Gewalt und Durst nach Blut vergleichen. Sicherlich spielen hier die Medien und die Struktur der Fernsehprogramme eine wesentliche Rolle. Michael hat mir oft erzählt, wie weit eine solche Gier reichen kann. Beispielsweise warten bei Hochwasser in Köln hunderte von Menschen an den Brücken und warten auf den Augenblick, in dem das steigende Wasser die letzte Absperrung überwindet und erbarmungslos die ganze Altstadt überflutet. Und genau in dem Augenblick in dem es passiert fangen hunderte von Menschen wie bei einem Kampf der Gladiatoren an zu pfeifen und zu klatschen und heben die Sektgläser hoch, die sie zu diesem Zweck mitgebracht haben.

Wenn ein anständiger Mensch über solches Verhalten nachdenkt, bekommt er meistens Gänsehaut und stellt sich die Frage in welchen Abgrund sich unsere so genannte zivilisierte Gesellschaft kopflos stürzt. Es ist allarmierend, aber es bleibt ein Abbild der heutigen „anständigen und zivilisierten“ Gesellschaft. Strafen hierfür sind zwar hoch, aber wirkungslos.

Zurück zu unserer Erzählung: Der Held der Story und seine Mannschaft sind als erste auf der Stelle des Unglücks. Alle warten hilflos auf die Ankunft des Rettungschiffes oder auf den Hubschrauber. Michael rasen alle möglichen Gedanken durch den Kopf und dann entscheidet es sich – allein, ohne Befehl. Schnell zieht er die schwere Jacke und die Stiefel aus, bindet sich an einem langen Seil, mit welchen er von seinen Kollegen gesichert wird und nimmt ein zweites Seil in die Hand. Dann stürzt er sich in die Fluten. Der Strom ist sehr stark, beim ersten Mal kann er es nicht schaffen die zwei Menschen zu erreichen und wird von dem Strom weggetrieben. Erst nach dem dritten Versuch konnte er sie erreichen, bindet ihnen das zweite Seil um und seine Kollegen ziehen sie an das Ufer.

Die Rettungsaktion endete erfolgreich. Wahrscheinlich hat Michaels Entscheidung nicht auf die Rettung aus der Luft oder von Boot aus zu warten und selbst aktiv zu werden dem einen oder beiden das Leben gerettet. In solchen Situationen kann jede Sekunde über Leben oder Tod entscheiden.

In großen Buchstaben wurde am nächsten Tag in allen Zeitungen über die Heldentat des Polizeibeamten berichtet – der Einsatz der Feuerwehren wurde mit keiner Silbe erwähnt. Und wie es manchmal im Leben passiert – nach einiger Zeit kam die offizielle Belobigung und unser Held stand ungeachtet ganz hinten – die Auszeichnung bekam der Polizeibeamte, der in den wilden Rhein gesprungen ist und von den Feuerwehren später gerettet wurde. Aber Michael ist bescheiden, es macht ihm nichts aus – schließlich hat er es nicht wegen einer Belobigung gemacht, sondern weil er die Notwendigkeit gespürt hat den Menschen in Not zu helfen.

Zum Schluss muss noch erwähnt werden, dass die Beschreibung der Aufgaben bei den deutschen Feuerwehren auch den Einsatz des eigenen Lebens einschließt. Das bedeutet, dass die Tapferkeit eines einzelnen zum Job gehört, für besondere Auszeichnungen ist dort kein Platz mehr. Und weil dem so ist, gehört meine Bewunderung dem früheren kleinen Jungen aus Prag, weil er es geschafft hat seinen Jugendtraum zu erfüllen und heute bei den besten Feuerwehren der Welt arbeiten darf.

Publiziert im Cesky Dialog in September 2002
Text und Fotos Vaclav R. Zidek, 4.1.2005

Übersetzung:  Ctirad Panek

 

Foto z archívu Václava Židka

Tento článek byl v Pozitivních novinách poprvé publikován 04. 01. 2005.