Ctirad Panek: Wie entsteht Urwald?

Rubrika: Publicistika – Zajímavosti

             

Es ist nur eine Frage der Zeit: Wenn ein Wald über viele Jahrhunderte in Ruhe und ohne jegliche Eingriffe durch Menschen gelassen wird, entsteht dort ein natürliches Gleichgewicht. Viele Generationen von Pflanzen und Bäumen ergänzen sich und ernähren sich gegenseitig – die älteren stützen und schützen ihre Kinder, die ganz alten sterben ab, machen Platz für die nächste Generation und dienen als Nahrung für die Lebenden. Und die Vielfalt von Pflanzen und Bäumen wird durch die zahlreichen Tier- und Insektenarten ergänzt und bereichert.

In unserer zivilisierten Welt wird es vor allem in Europa immer weniger Platz für Urwälder geben. Die Menschen mit ihrem Hunger nach Bauholz, Brennholz und Ackerflächen vernichten sie seit Jahrhunderten. Alte, knorrige Bäume und tote Baumstämme gelten in der industrialisierten Forstwirtschaft als unnütz und als Brutstätte für Schädlinge. Durch die Beschränkung auf wenige ertragreiche Baumarten im Forst werden viele heimische Gehölze zu seltene oder sogar gefährdeten Arten. Auch die letzten Urwälder im äußersten Norden Europas und in Sibirien fallen nach und nach den Kettensägen zum Opfer.

Die wenigen ausgewiesenen Naturschutzgebiete reichen engagierten Naturschützern nicht aus. Sie führen einen verbitterten Kampf mit der Politik, Wirtschaft und Industrie, um die weitere Zerstörung der Natur zu bremsen. Es sind meistens lupenreine Idealisten, in ihrem Kampf sehr aktiv und ideenreich. Einen solchen habe ich in einem kleinen Ort in der Eifel getroffen. Förster Wohlleben lebt seit 15 Jahren als Forstwirt in Hümmel, einer kleinen Gemeinde mit knapp 600 Einwohnern, aber mit einem großen Bewusstsein für Natur und Umwelt. Vor dreizehn Jahren haben sich Förster und die Gemeinde Hümmel für ökologische Waldwirtschaft entschieden. Keine Kahlschläge mehr, kein Einsatz von Chemikalien, anstatt Erntemaschinen werden Pferde eingesetzt, das tote Holz bleibt im Wald. Das Wild wird nicht mehr gefüttert, seit Hümmel sich vor fünf Jahren entschloss, eine „echte Bürgerjagd“ zuzulassen. Das bedeutet das Ende der Sonntagsjägerei, der Trophäenjagd. Nun darf mehr gejagt werden, um den Wildbestand in einem der Natur zuträglichen Rahmen zu halten.

Als Endziel wollte man in Hümmel wieder ein richtiges Stück Urwald schaffen. Dafür wird jedoch ein langfristiges und nicht revidierbares Schutzkonzept benötigt. Und so kam Herrn Wohlleben im Jahr 2003 die Idee das Konzept der Urnenbestattung in freier Natur in ihrem Wald zu etablieren. Das Konzept wurde 1999 in der Schweiz patentiert und wird vielfach realisiert. In Deutschland wurde es von zwei Firmen übernommen – der RuheForst GmbH und der Friedewald GmbH. Es sieht vor, dass Interessenten eine Grabstätte im Wald auf die Dauer von 99 Jahren erwerben. Diese wird im Grundbuch eingetragen. Durch diesen Vertrag ist es garantiert, dass der Ruheplatz an der Wurzel eines bestimmten Baumes für 99 Jahre erhalten bleibt. Der Baum darf 99 Jahre nicht gefällt werden oder der auf natürlicher Weise abgestorbene Baum darf nicht beseitigt werden. Und so bleibt ein 14 Hektar großes Stück Wald unberührt und kann sich ganz langsam auf seine Weise – ohne Eingriffe von Menschen – zu einem natürlichen Urwald entwickeln. Die inzwischen bis zu 180 Jahre alten Baumriesen mit ihren ausladenden Kronen bilden eine besondere Atmosphäre dieser Ruhestätte. Und der dicke Teppich von braun-goldenem Laub und der grüne, wild wuchernde Farn wirken wie aus einer Erzählung über uralte Zeiten.

Ein Hauch von Urwald, in den aber ein bequemer Weg führt. Denn der Biotop muss auch für Rollstuhlfahrer zugänglich werden, die der Urnenbeisetzung beiwohnen möchten. Es gibt hier keine feste Zeremonie für die Trauerfeier. Sehr oft werden die Hinterbliebenen bei der Beisetzung von einem Priester begleitet. Eine kompostierbare Urne aus Maisstärke wird an den Wurzeln des ausgesuchten Baumes in einem gebohrten Loch beigesetzt. Keine Blumen sind erlaubt, nach kürzester Zeit ist die Grabstätte nicht mehr zu erkennen. Nur eine kleine Metallplakette von der Größe einer Visitenkarte mit dem Namen des Verstorbenen auf dem Baumstamm offenbart, dass hier die Asche von jemanden beigesetzt wurde.

Der Hümmeler Wald wurde inzwischen von „Forest Stewardship Council“ mit dem weltweit wichtigsten Siegel für ökologisch nachhaltige Waldwirtschaft zertifiziert und entwickelt sich ganz langsam zu einem richtigen Urwald. Es bleibt eine Oase der Ruhe. Für Radler, Walker und Ausflügler verboten. Es kostet viel Zeit, Mühe, Geld und Ideen, um dies auf die Dauer zu gewährleisten. Man kann nur hoffen, dass diese großartige Idee wirklich dauerhaft am Leben bleibt und weitere Nachahmer findet. 

        
      

Tento článek byl v Pozitivních novinách poprvé publikován 01. 07. 2007.