Luděk Ťopka: Die geklaute Sau

Rubrika: Literatura – Povídky

         

Die geklaute Sau

Vor kurzem las ich in der Tagespresse eine kurze Nachricht, wie in einer Gemeinde in Ostböhmen einem Züchter einige Schweine gestohlen wurden, ohne dass es der Polizei gelungen ist, den Täter zu ertappen. Das erinnerte an einen Vorfall, von dem ich eines Abends in einem Gasthaus hinter unserer Westgrenze hörte - die Geschichte von einer geklauten Sau und dem ertappten Täter...
Es war im Vorfrühling des Jahres 2000, als ich von einem Kunden in München zurückkehrte, wo ich eine Geschäftsverhandlung mit dem Kunden führte und als ich mich unterwegs eines Verkehrsunfalls wegen verspätete. Schnell fing es an dunkel und dazu noch nebelig zu werden. Zu dieser Zeit fuhr ich zwar schon in Weiden ein, aber zur Grenze war es noch weit und so hatte ich mich entschieden das Schicksal nicht herauszufordern und in die Stadt Tirschenreuth zu fahren, mit der Absicht, dort eine billigere Unterkunft zu finden. Das gelang mir dank der Tatsache, dass es erst der zehnte März und noch kein Frühling war, und deswegen auch noch keine Touristensaison begonnen hatte.
Das kleine Hotel hieß, wenn ich mich gut erinnere, „Zu Schwanen“ und wirkte mit seinem lieben Hausmilieu so, dass ich sofort bereit war hier zu übernachten. So bezahlte ich mit Freude mein Obdach für eine Nacht, brachte mein einziges Gepäckstück ins Zimmer, duschte mich nach der langen Reise ab und ging hinunter ins Hotelrestaurant um etwas zu essen und es mit gutem bayerischen Bier nach zu trinken.
Im Lokal hörte man Stimmen von Gästen, die offensichtlich schon ein wenig mit guten Getränken getränkt waren. Es war ziemlich voll, aber es gelang mir einen freien Platz am Tisch neben einer fünfgliedrigen Gesellschaft zu finden, die den Raum mit der typischen deutschen Lautstärke und dem Wasserfall von Worten und Gelächter füllte. Ich lauschte mit Vergnügen ihrer bayerischen Mundart, die ich zwar nur wenig verstand, aber der ich, für ihre Melodik gerne zuhörte.
Als die Kellnerin kam, bestellte ich ein Abendessen mit Bier und stellte meinen Sessel so, dass ich am besten hören könnte. Ich vernahm nämlich zwischen dem bayrischen Dialekt den Mann mit Vollbart, der etwa einen Meter neben mir saß und etwas von der zu vorbereitenden Änderung des Waffengesetzes erzählte, und zwar im echten Böhmerwald-Deutsch. Dieses Gesetz sollte den Jagdwaffenerwerb und Besitz der Waffen erheblich beschränken, was weder der Jägergemeinschaft noch dem Sprecher offenbar gefiel. Langsam gewöhnte sich mein Ohr an den schnellen Strom seiner Rede, die mich zu interessieren begann.
In dem Moment aber, landete vor mir ein großer Teller mit meinem Abendessen und einem Glas Bier. Ich ließ die Reden beim Nebentisch aus dem Auge und widmete mich dem guten Gericht, das nach kurzer Weile verschwand, da ich nach der Reise ziemlich hungrig war. Als ich mein Bier ausgetrunken hatte, spitzte ich unauffällig meine Ohren wieder gegen den Nachbartisch.
Diesmal aber, war das Diskussionsthema, wie ich aus dieser einheimischen Sprache verstand, kein Waffengesetz, sondern ein vollkommen anderer Paragraph über die Handhabung mit auf den Straßen getötetem Wild. Darüber kam es zu einer Debatte, die zu lauschen für mich ein Vergnügen war, obwohl ich kaum jedes zehnte Wort verstanden habe. Es war ein Konzert auf Bayerisch, welches ich bisher noch nicht zu hören bekam. Aber ich will hier keine philologischen Erlebnisse beschreiben und muss zur Sache kommen. Nach etwa zehn Minuten wurde das Thema der lauten Debatte wieder geändert und ich hörte plötzlich nochmals die Stimme des Vollbarts: „„Ja, des stimmt, des koa passier'n, i kannt dovor was verzähl'n!“
Na, lieber sollte ich direkt in deutsch fortfahren: „Ja, das stimmt, das kann jedem Jäger passieren, ich könnte erzählen, was gerade mir passierte.“, sagte der Vollbart, und setzte fort: „Es war damals zur Erntezeit und ich wurde zur Saujagd eingeladen. Wir gingen mit meinem Kameraden Walter zum Wald, um den Ort zu besichtigen, wo wir abends auf die Schwarzkittel warten wollten.
Es war eine drückende Hitze und wir nahmen einen Feldweg und schritten langsam an dem Waldrand vorbei, bis zu seinem Ende, wo ein Haufen von Kieferstämmen lag und ein Gersteacker begann, der eben geerntet wurde. Wir setzten uns darauf, legten unsere Waffen neben uns ab, wischten uns den Schweiß von den Stirnen und beobachteten, wie der Mähdrescher am anderen Ende des langen Ackers umkehrt und zu uns herauf fährt, um einen weiteren breiten Getreidestreifen zu schlucken.
Als wir dort so ruhig und leise saßen, bemerkte ich plötzlich - etwa sechzig Meter von uns - eine Bewegung der Gersteähren und dass sich etwas zum Ackerrand bewegte. In dem Augenblick fiel es mir ein, dass es eine Sau sein könnte. Ich hob die Büchse auf, lud sie, und wartete. Die Bewegung hörte für eine Weile auf, aber als sich der Mähdrescher näherte, wurde sie schneller und, wie erwartet, kam ein stattlicher Überläufer heraus auf die Wiese. Dann wartete ich nicht mehr. Die Waffe war im Nu im Anschlag. Bums, und die Kugel war los. Die Sau zeichnete zwar am Anschuss, aber lief weiter und verschwand im mit Gebüsch bewachsenen Waldrande.
Wir warteten eine Weile und dann setzten wir ihr nach und verfolgten die mit Schweiß gezeichnete Spur. Nach zwanzig Metern war auf dem Gras noch ein bisschen Schweiß, aber nach weiteren hundert Metern war schon nichts zu sehen, ganz zu schweigen von der Sau. Das ist nicht möglich, sagte ich mir, und entschied mich, den Hund zu holen. Mein Kamerad war aber zu faul um mit mir nach Hause zurückzukehren und versprach auf mich im Waldschatten zu warten.
Nach einer Stunde war ich wieder zurück mit meinem Teckel Lux und wir durchsuchten - diesmal schon zu dritt - die lange Strecke vom Anschuss weiter bis zur Straße. Da fanden wir kleine glänzende Pfützen vom Schweiß. Ach, Scheiße, die Sau musste hier geendet haben. Wahrscheinlich wurde sie von jemandem gefunden und geklaut. Aber wie? Sie wog sicher mindestens gute siebzig Kilo! Wir standen dort ratlos und schüttelten die Köpfe über dieses Rätsel, als wir auf dem Wege irgendein vom Wald kommendes junges Frauchen mit Kinderwagen erblickten. Als es bis zu uns gekommen war und unsere Waffen an unseren Schultern sah, grüßte es: „Weidmannsheil, die Sau war wirklich hübsch! Warten Sie noch auf eine andere?“
„Wie wissen Sie, junge Frau, von einer Sau“, fragte ich sie, „und warum meinen Sie, dass wir noch eine möchten?“
„Na doch ansonsten wären Sie mit ihm und der ersten Sau weggefahren, oder?“
Aber mit wem? Wir wissen nicht, mit wem wir irgendwohin fahren sollten!“
„Na, doch mit Herrn Kraus! Ich sah ihn etwa vor einer Stunde, als ich herauf zum Wald spazierte, an diesem Ort die tote Sau in sein Auto aufladen. Er lud sie hinten in den Kofferraum auf, den er ihres Rüssels wegen, der aus dem Koffer emporragte, nicht zumachen konnte.“
„Wer ist Krause?“, fragte ich Walter.
„Hiesiger Gastwirt und mein Nachbar“, antwortete mein Kamerad, während die junge Mutti den Spaziergang fortsetzte.
Wir kehrten um und eilten zum Dorf, direkt in Krauses Gasthaus. „Wo ist Franz?“ stürzte Walter in die Schenke hinein, wo eben ein junges Mädel hinter dem Schanktisch ein Glas mit Bier füllte, „Ich muss sofort mit ihm sprechen!“
„Aber, vor einer Stunde brachte er ein Wildschwein, hatte es mit Hans abgeschwartet und nun tranchieren sie es in der Scheun´. Möchten Sie Bier?“
„Nein, Gretl, nun will ich mit deinem Vater sprechen!“, trumpfte sie Walter ab und wandte sich zu mir: „Wart´ hier auf mich, ich erledige es selbst!“
Gut, ich brauchte bei keiner peinlichen Szene zu sein und so setze ich mich bequem an einem Tisch und winkte dem Mädel zu, dass ich ein Glas Bier möchte. Es brachte es und fragte: „Was ist denn los, dass Walter so aufgeregt ist?“ Darauf zuckte ich nur mit den Achseln und schwieg. Was sollte ich ihm erzählen. Bald erfährt es alles von seinem Vater.
Ich saß dort schon länger als eine halbe Stunde, als in der Tür hinter dem Schanktisch Walter erschien. Gefolgt von einem fetten Kerl mit Blut befleckter Schürze und Händen. Sie setzten sich beide an meinem Tisch. „Verzeihen Sie, meine Herren. Ich bin bereit Ihnen das Schwein zu bezahlen! Ich wollte es keinesfalls stehlen. Ich dachte, es war von einem Auto getötet worden und so wollte ich es nur vor dem Verderben retten, sonst würde es dort ohne Nutzen verfaulen“, sagte der Tölpel, „das wäre eine Wirtschaftsschaden, während es hier gut verwendet wird, oder? Jetzt ist es etwas anderes, und ich bin bereit den Schaden zu ersetzen!“
Wir schauten uns mit Walter einander an und waren mit einem Schadenersatz einverstanden. Wir bekamen drei hundert Mark, je eine Flasche Jägermeister und blieben Gäste des „Wildbretretters“ bis zum Abendbrot. Aber auch so war es uns klar, dass der Schwindler ein gutes Geschäft gemacht hatte. Nach der zehnten Abendstunde verließen wir die Kneipe hübsch blau und fielen ins Bett. Letzten Endes wurde ja niemand von uns beschädigt - außer der Sau, natürlich!“
Der Gast hörte auf zu reden, begoss seine Kehle mit dem Rest in seinem Glas und stand auf:“ „Na, ja mo maa scho schloufn gä, i mo morgn zur Orbat, so lebt's guad, Boom und gobd Nacht.“
Er nahm seinen Hut mit Gemsbart vom Kleiderhacken, setzte ihn auf seinen Strobelkopf und ging fort.
Die Gesellschaft seiner Kameraden verstummte nach einer Weile. Alle tranken ihre Gläser aus, bezahlten und gingen allmählich nacheinander heim. Das tat ich auch. Ich bezahlte der jungen Kellnerin meine Rechnung und stieg die Treppe hinauf, die aber irgendwie steiler war, als vor einigen Stunden, als ich mit meinem Koffer hinauf stieg. Im gut geheizten Zimmer legte ich meinen müden Körper in das weiche Bett und schlief schnell ein.
Morgens frühstückte ich ebenso gut und fuhr frisch und munter nach Hause. Der Tag war zwar noch kalt, aber schön, sonnig und nebelfrei. Nach zwanzig Minuten fuhr ich in Mähring über die Staatsgrenze, atmete den ersten Schluck von Heimatluft und nach drei Stunden trank ich schon meinen Kaffee zu Hause, glücklich und um eine weitere Geschichte für meine Jägererzählungen-Sammlung reicher. Waidmannsheil! 

Tento článek byl v Pozitivních novinách poprvé publikován 30. 06. 2008.